Digitaler Stress: Schattenseite der neuen Arbeitswelt – Entstehung, Herausforderung und Bewältigung.

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In der heutigen, zunehmend digitalisierten Welt, sind die meisten von uns ständig online und vernetzt. Smartphones, Tablets und Computer sind zu unverzichtbaren Begleitern unseres (Berufs-)Alltags geworden, genauso wie die Sozialen Medien. Doch diese allgegenwärtige digitale Präsenz hat auch ihre Schattenseiten. Die Geräte erleichtern viele Arbeitsschritte und dienen als Assistenten, führen aber auch zu digitalem Stress. Dieses Phänomen ist weit verbreitet und belastet die mentale und physische Gesundheit vieler Menschen, was auch Krankenkassen und Arbeitgeber alarmiert.

Das Buch „Digitaler Stress“ greift dieses relevante und aktuelle Thema auf und verspricht, Licht in die Ursachen, Auswirkungen und dem Umgang mit dem Fokus auf die Arbeitswelt zu bringen. Der Autor David Bausch ist Gründer und Geschäftsführer einer Managementberatung, Keynote Speaker und lehrt Changemanagement an der Hochschule Mainz.

Im Vorwort und an vielen Stellen des Buches nutzt der Autor ein Bewertungssystem für Stressauslöser (Bewertung 1) und Bewältigungsstrategien (Bewertung 2). Der Autor bezieht sich dabei auf das transaktionale Stressmodell von Richard Lazarus, das die primäre und sekundäre Bewertung umfasst. Zuerst wird eingeschätzt, ob eine Situation irrelevant, positiv oder als bedrohlich und im letzten Fall als schädigend, bedrohlich oder herausfordernd wahrgenommen wird (primäre Bewertung).

Der Autor bezieht sich dabei auf das transaktionale Stressmodell von Richard Lazarus, das die primäre und sekundäre Bewertung umfasst. Zuerst wird eingeschätzt, ob eine Situation als  irrelevant, positiv oder belastend wahrgenommen wird und im letzten Fall als schädigend, bedrohlich oder herausfordernd bewertet wird (primäre Bewertung).  Anschließend erfolgt die Bewertung und ob man die Situation mit den verfügbaren Ressourcen bewältigen kann (sekundäre Bewertung), andernfalls wird eine Stressreaktion ausgelöst. Dabei erwähnt er mehrfach das Denkmodell System 1 und System 2 des kürzlich verstorbenen Nobelpreisträgers und Psychologen Daniel Kahneman, ohne jedoch eine überzeugende Verbindung zwischen diesen Konzepten herzustellen.

Kahnemans Modell, vorgestellt in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“, beschreibt Denkprozesse: System 1 ist schnell und intuitiv, während System 2 langsam und analytisch ist. Diese Denkprozesse sind jedoch unabhängig von der Bewertung und Bewältigung von als belastend empfundenen Situationen, wie sie im transaktionalen Stressmodell behandelt werden.

Die im Buch des Autors vorgenommenen Verweise auf Kahnemans Systeme 1 und 2 führen daher zu Verwirrung. Kahnemans Modell bezieht sich auf die Art und Weise, wie wir denken und Entscheidungen treffen, während Lazarus‘ Modell sich darauf konzentriert, wie wir als belastend empfundene Situationen bewerten und darauf reagieren. Diese beiden Konzepte sind grundsätzlich unterschiedlich und sollten nicht vermischt werden.

Im ersten Teil beginnt der Autor mit einem historischen Überblick. Die industrielle Revolution begann Ende des 18. Jahrhunderts mit der Einführung von Dampf- und Wasserkraft betriebenen Maschinen, was zur maschinellen Massenproduktion und zur enormen Steigerung der Produktivität führte. Seit den 1870er Jahren brachte die Elektrifizierung und Fließbandproduktion weitere technische Fortschritte. Seit 1969 ermöglichte die dritte industrielle Revolution durch den Einsatz von Computern und Industrierobotern neue Formen der Automatisierung. Die vierte industrielle Revolution wird durch die schnelle Verbreitung von Computern und Internet sowie den Einsatz künstlicher Intelligenz geprägt, was die Globalisierung und Vernetzung weiter vorantreibt.

Der Wandel hatte schon immer massive Auswirkungen auf die Gesellschaft und ihre Berufe und Jobs. Bausch berichtet von ersten Beispielen aus den Bereichen Medizin, Recht und Versicherungen, bei denen es um anspruchsvolle Aufgaben geht. Auch diese Berufe werden sich wandeln.

Der Autor betont, dass „digitaler Stress“ kein neues Phänomen ist, da bereits seit Jahrzehnten in der Forschung über „Technostress“ diskutiert wird. Er findet diesen alten Begriff jedoch nicht mehr zeitgemäß. Durch den Digitalisierungsschub während der Covid-19-Pandemie rückte die Digitalisierung der Arbeitswelt noch stärker in den Fokus, was die Diskussion über die psychosozialen Folgen weiter intensivierte.

Zum Schluss des ersten Teils werden Studienergebnisse zwischen dem Big-Five-Persönlichkeitsmodell und Stress vorgestellt. Es ist erfreulich, dass das etablierte Modell der Big Five herangezogen wird. Dieses umfasst fünf Dimensionen: Offenheit für Erfahrungen, Neurotizismus, Gewissenhaftigkeit, Extraversion und Verträglichkeit. Emotional labilere und introvertiertere Menschen leiden demnach stärker unter digitalem Stress, während Gewissenhaftigkeit, Extraversion und Verträglichkeit das Risiko reduzieren können.

Im zweiten Teil des Buches geht er der Frage nach, wie digitaler Stress entsteht. Er stellt sechs aus der Forschung bekannte Dimensionen von Stressoren vor:

  • Überladung
  • Entgrenzung von Beruf und Privatleben
  • Komplexität
  • Ungewissheit
  • Unzuverlässigkeit
  • Jobunsicherheit

Bausch diskutiert auch Rollenunklarheiten und Rollenkonflikte, die durch eine Entgrenzung von Beruflichem und Privatem sowie mögliche Überwachungen entstehen. Die Komplexität der Arbeitswelt, inklusive der Nutzung von Tools, erhöht die Komplexität und kann ein Treiber für digitalen Stress sein. Auch die Unzuverlässigkeit von Technologien und digitalen Systemen kann belastend sein. Ein kompetenter und erreichbarer IT-Support ist daher ein wichtiger Baustein in der Bewältigungsstrategie. Beim Thema Jobunsicherheit empfiehlt er vor allem Re- und Upskilling, also Fort- und Weiterbildung oder Umschulung in ein neues Berufsprofil, um die Beschäftigungsfähigkeit (Employability) in der zukünftigen Arbeitswelt zu erhöhen. Neu sind solche Forderungen nicht, begleiten sie doch seit Jahrzehnten die Arbeitswelt und ihren Wandel.

Im dritten Teil des Buches stellt der Autor Präventionsmaßnahmen vor und betont die Bedeutung der psychischen Gesundheit. Dabei erwähnt er, dass auf den ersten Blick vernünftig klingende Lösungen, dennoch den wahrgenommenen digitalen Stress erhöhen können. Ein Beispiel ist die Einführung eines Kanban-Boards, das eine Übersicht über Projekte und Aufgaben bietet. Obwohl dies zunächst sinnvoll erschien, führte die Nutzung und Pflege beim Autor zu digitalem Stress, da dies mehrere Stunden pro Woche in Anspruch nahm. Das führte zu einer geringeren Produktivität und reduzierter Arbeitsqualität. Seine aufgeführten Präventionsmittel sind sachlich nachvollziehbar, aber das Reduzieren von Kommunikationskanälen und Tipps zur besseren Nutzung von Outlook und Kalendereinstellungen wirken stellenweise doch recht banal. Digitaler Stress kann auch das organisationale Engagement reduzieren. Neben bekannten Konzepten wie transformationale Führung oder psychologische Sicherheit bleibt das Kapitel jedoch recht allgemein. Die „Power Ressourcen“, ein vom Autor entwickelter Begriff, beschreiben Bewältigungsstrategien im Umgang mit Stress, darunter lebenslanges Lernen, sportliche Aktivitäten und ausreichend Schlaf. Auch die Notwendigkeit einer Fehlerkultur ist eine bei Personalern und Führungskräfte längst bekannter Ansatz.

Zusammenfassend fehlt es dem Buch in vielen Bereichen an Tiefe. Eine intensivere Auseinandersetzung mit der Rolle von Resilienz und der konkreten Anwendung von Stressbewältigungstechniken hätte dem Buch gutgetan. Auch Themen wie psychische Gefährdungsbeurteilung wären nützlich gewesen. Die Inhalte wirken oft oberflächlich oder wie ein ausführliches Skript für einen Podcast. Die Erwähnung der veralteten Bedürfnispyramide nach Abraham Maslow könnte zukünftig weggelassen werden. Obwohl der Autor regelmäßig auf Studien verweist und die Literaturquellen im Anhang ausführlich sind, fehlen an verschiedenen Stellen Quellenangaben im Text. Das erschwert eine Vertiefung und Überprüfen der Aussagen. Die zahlreichen Anekdoten und Wiederholungen vermitteln eher den Eindruck, dass die Seiten gefüllt werden mussten. Mit hundert Seiten weniger und einem Hinweis, dass sich das Buch an absolute Einsteiger in die Thematik richtet, hätten die Erwartungen besser gemanagt werden können. So bleibt das Buch leider erheblich hinter den Erwartungen zurück.

David Bausch: Digitaler Stress: Schattenseite der neuen Arbeitswelt – Entstehung, Herausforderung und Bewältigung. Freiburg: Haufe, Januar 2024. 239 Seiten, 29,99 Euro

 

 

 

Head of People bei DocCheck AG

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